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Leistungen in der Widerrufsfrist und Schadensersatz...

… nach gesetzlichen Bestimmungen bei Missbräuchlichkeit einer den gleichen Schaden regelnden Vertragsklausel

Zwei Urteile des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zum europäischen Verbraucherschutzrecht lohnen eine nähere Betrachtung. In dem einen Fall ging es um die Frage, ob dem Unternehmer wenigstens ein Anspruch auf Wertersatz für diejenigen Leistungen zusteht, die er auf ausdrückliches Verlangen des Verbrauchers bei einem Vertrag, der außerhalb der Geschäftsräume des Unternehmers abgeschlossen wurde, vor Ablauf der Widerrufsfrist erbracht hat, wenn der Verbraucher, der von dem Unternehmer nicht über das Widerrufsrecht belehrt wurde, seine Vertragserklärung nach der Leistungserbringung widerruft. In dem anderen Fall ging es darum, ob ein Unternehmer Schadensersatz auf gesetzlicher Grundlage verlangen kann, wenn eine den gleichen Schaden regelnde Vertragsklausel missbräuchlich ist. Die in den Urteilen behandelten Fragen stehen im Zusammenhang mit (1) meinem früheren Beitrag „Vertrag über die Lieferung einer Küche – Kauf- oder Werkvertrag“ (nachfolgend Ziff.1) und (2) der Regelung in Abschnitt VI Abs. 7 der Muster-AGB (nachfolgend Ziff. 2).

1. Urteil des EuGH vom 17.05.2023 – C-97/22

Diesem Urteil lag ein Vorabentscheidungsersuchen des Landgerichtes (LG) Essen zugrunde. Was war geschehen?

Ein Unternehmer und ein Verbraucher schlossen am 06.10.2020, also in Pandemie-Zeiten, im Wohnhaus des Verbrauchers mündlich einen Vertrag über die Erneuerung der Elektroinstallation jenes Gebäudes. Dabei versäumte es der Unternehmer, den Verbraucher über das bei solchen Außergeschäftsraum-Geschäften (AGR-Geschäfte) bestehende Widerrufsrechts zu belehren. Der Unternehmer erbrachte die Leistung und stellte sie am 21.12.2020 in Rechnung. Der Verbraucher verweigerte die Zahlung und erklärte am 17.03.2021 den Widerruf des Vertrages. Der Unternehmer erhob Klage. Der Verbraucher berief sich darauf, dass infolge seines Widerrufs, zu dem er mangels Widerrufsbelehrung auch am 17.03.2021 noch berechtigt war, kein Vertrag mehr bestehe, auf den der Zahlungsanspruch des Unternehmers gestützt werden könne. Auch komme die Sonderregelung, wonach der Verbraucher Wertersatz leisten muss, wenn der Unternehmer auf ausdrückliches Verlangen des Verbrauchers vor Ablauf der Widerrufsfrist Leistungen erbringt, nicht zur Anwendung, denn auch hierüber hätte der Verbraucher vor Vertragsschluss belehrt werden müssen.

Das LG Essen hat den Vertrag rechtlich als Werkvertrag (in der europarechtlichen Terminologie „Dienstleistungsvertrag“) qualifiziert und zutreffend angenommen, dass dem Verbraucher ein Widerrufsrecht zusteht, weil der Vertrag außerhalb der Geschäftsräume des Unternehmers abgeschlossen wurde. Ich erwähne das deshalb, weil die Bestimmung der Rechtsnatur des Vertrages – Werkvertrag oder Kaufvertrag – bei AGR-Geschäften erhebliche Auswirkungen auf den Beginn der Widerrufsfrist hat. Das war das Kernthema meines früheren Beitrags „Vertrag über die Lieferung einer Küche – Kauf- oder Werkvertrag“. Während die 14-tägige Widerrufsfrist bei einem Werkvertrag (insbesondere bei Verträgen über die Lieferung und Montage von Küchen kann dieser Fall eintreten) mit dem Vertragsschluss beginnt, beginnt sie bei Kaufverträgen erst mit der Ablieferung der Ware – immer vorausgesetzt, der Unternehmer hat den Verbraucher vor Vertragsschluss korrekt über sein Widerrufsrecht belehrt. Diesen rechtlichen Umstand habe ich in dem vorerwähnten Beitrag und in unseren Empfehlungen zum Umgang mit den Muster-AGB, den besonderen AGB für AGR-Geschäfte und den Widerrufsbelehrungen mit dem Hinweis verbunden, dass der Unternehmer im Falle der Einordnung des Vertrages als Werkvertrag den Vorteil hat, mit der Erbringung seiner Vertragsleistung zuwarten zu können, bis die Widerrufsfrist abgelaufen ist. Dabei ist allerdings auf den in der Praxis vermutlich nicht seltenen Fall, dass der auf Kundenzufriedenheit bedachte Unternehmer auf Wunsch des Verbrauchers sofort, also vor Ablauf der Widerrufsfrist, mit der Ausführung des Vertrages beginnt, nicht eingegangen worden. Diesbezüglich lässt sich nun nach dem Urteil des EuGH sagen, dass die Berücksichtigung eines solchen Kundenwunschs mit einem außerordentlichen Risiko für den Unternehmer verbunden ist. Kann der Unternehmer nämlich in diesem Fall nicht nachweisen, dass er den Verbraucher vor Vertragsschluss in jeder Hinsicht ordnungsgemäß über das Widerrufsrecht sowie darüber belehrt hat, dass der Verbraucher Wertersatz schuldet, wenn der Unternehmer auf sein ausdrückliches Verlangen vor Ablauf der Widerrufsfrist Leistungen erbringt und der Verbraucher danach seine Vertragserklärung widerruft, kann er von dem Verbraucher selbst dann für die erbrachte Leistung nichts verlangen, wenn das Vermögen des Verbrauchers dadurch einen erheblichen Zuwachs erfahren hat. Wie kam es zu diesem doch einigermaßen überraschenden und aus der Sicht vieler Unternehmer sicherlich unbefriedigenden und unverständlichen Ergebnis?

Das LG Essen gelangte im Ausgangspunkt zutreffend zu der Erkenntnis, dass der Verbraucher nach den in nationales Recht umgesetzten Bestimmungen der europäischen Verbraucherrechte-Richtlinie unter vertragsrechtlichen Gesichtspunkten nicht für die vor Ablauf der Widerrufsfrist erbrachten Dienstleistungen aufkommen muss, wenn der Unternehmer vor Vertragsschluss eine vollständige Belehrung des Verbrauchers über alle Aspekte des Widerrufsrechtes unterlassen hat. Nun wollte das LG Essen aber von dem EuGH wissen, ob dem Unternehmer unter diesen Umständen nicht wenigstens ein außervertraglicher Wertersatzanspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung zusteht, was nach dem Unionsrecht grundsätzlich möglich wäre. Der EuGH verneinte dies mit folgender Begründung:

„Das in Art. 14 Abs. 5 der Verbraucherrechte-Richtlinie genannte Widerrufsrecht soll den Verbraucher in dem besonderen Kontext des Abschlusses eines Vertrags außerhalb von Geschäftsräumen schützen, in dem der Verbraucher möglicherweise psychisch unter Druck steht oder einem Überraschungsmoment ausgesetzt ist, …
Daraus folgt, dass in dem Fall, dass der Unternehmer es vor Abschluss eines Vertrags außerhalb von Geschäftsräumen unterlässt, dem Verbraucher die in Art. 6 Abs. 1 Buchst. h (Widerrufsrecht und Art der Ausübung) oder j (Pflicht zum Wertersatz beim Verlangen der Leistungserbringung vor Ablauf der Widerrufsfrist) dieser Richtlinie genannten Informationen bereitzustellen, und der Verbraucher sein Widerrufsrecht ausübt, die Art. 14 Abs. 4 Buchst. a Ziff. i und Art. 14 Abs. 5 dieser Richtlinie den Verbraucher von jeder Verpflichtung befreien, diesem Unternehmer den Preis für die von ihm während der Widerrufsfrist erbrachte Dienstleistung zu zahlen.

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Verbraucherrechte-Richtlinie den Zweck verfolgt, ein hohes Verbraucherschutzniveau sicherzustellen, … Dieses Ziel geriete in Gefahr, falls Art. 14 Abs. 5 dieser Richtlinie dahin auszulegen wäre, dass er es erlaubte, von der Anwendung der eindeutigen Bestimmungen von Art. 9 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 4 Buchst. a Ziff. i der Richtlinie dergestalt abzusehen, dass einem Verbraucher in der Folge seines Widerrufs eines außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossenen Dienstleistungsvertrags Kosten entstehen könnten, die in dieser Richtlinie nicht ausdrücklich vorgesehen sind.“

Danach ist folgendes festzuhalten. AGR-Geschäfte stellen höchste Anforderungen an die Sorgfalt des Unternehmers. Unterbliebene oder fehlerhafte Belehrungen über das Widerrufs-recht setzen lediglich eine um 12 Monate verlängerte Widerrufsfrist von einem Jahr und 14 Tagen in Gang. In der Regel wird die Vertragsleistung bis dahin erbracht sein. Der – unredliche – Verbraucher kann sein Widerrufsrecht dennoch ausüben und muss für die bis dahin erbrachte Leistung nicht aufkommen.

2. Urteil des EuGH vom 08.12.2022 – C-625/21

Dieses Urteil beruht auf einem Vorabentscheidungsersuchen des Obersten Gerichtshofs Österreichs (vergleichbar mit dem deutschen Bundesgerichtshof). Was war geschehen?

Am 12.11.2017 verkaufte ein österreichischer Unternehmer an einen Verbraucher eine Einbauküche zum Preis von € 10.924,70. Dem Kaufvertrag lagen die AGB des Unternehmers zugrunde. Diese sahen vor, dass dem Unternehmer, wenn der Kunde, ohne dazu berechtigt zu sein, vom Vertrag zurücktritt oder dessen Aufhebung begehrt, entweder die Erfüllung des Vertrages verlangen oder dessen Aufhebung zustimmen kann, und dass im letzteren Fall der Käufer verpflichtet ist, dem Unternehmer nach seiner Wahl entweder Schadensersatz in Höhe eines pauschal auf 20 % des Verkaufspreises festgelegten Betrages oder in Höhe des tatsächlich entstandenen Schadens zu zahlen. Am 28.11.2017 trat der Verbraucher vom Kaufvertrag zurück, weil er das Haus nicht erwerben konnte, für das die Küche bestimmt war. Daraufhin erhob der Unternehmer Klage, mit der er jedoch nicht den auf 20 % des Verkaufspreises pauschalierten Schadensersatz, sondern seinen entgangenen Gewinn in Höhe von € 5.270,60 geltend machte. Diesen Anspruch stützte er auf die gesetzlichen Bestimmungen des österreichischen Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuchs (ABGB).

Der EuGH billigte die Beurteilung der österreichischen Gerichte, dass die vorerwähnte Vertragsklausel missbräuchlich ist. Hierzu führt der EuGH in dem Urteil folgendes aus:

„Eine solche Klausel begründet ein erhebliches Ungleichgewicht zwischen den Rechten und Pflichten der Parteien zum Nachteil des Verbrauchers, da sie dem gewerblichen Verkäufer eine Wahlmöglichkeit einräumt, die es ihm im Fall der seinem Vertragspartner zuzurechnenden Vertragsauflösung ermöglicht, eine Entschädigung in Höhe des ihm entstandenen Schadens zu erhalten, wenn dieser sich auf mehr als 20 % des Vertragswerts beläuft, oder in Höhe von 20 % dieses Werts, wenn der ihm tatsächlich entstandene Schaden geringer ist.

Der Mechanismus einer solchen Klausel ist aufgrund der Möglichkeit, die sich der Gewerbetreibende vorbehält und die es ihm ermöglicht, eine Entschädigung zu verlangen, die den ihm tatsächlich entstandenen Schaden übersteigen kann, missbräuchlich.“ 

Den Grund für die Missbräuchlichkeit dieser Klausel erblickt der EuGH also darin, dass es sich um eine einseitige, nur dem Interesse des Unternehmers dienende Wahlmöglichkeit handelt. Nach der fraglichen Klausel sind dem Unternehmer die 20 % pauschalierter Schadensersatz selbst in dem Fall sicher, dass gar kein oder nur ein geringerer Schaden entstanden ist; über die Wahlmöglichkeit konnte er seine – durch die missbräuchliche Klausel bis auf 20 % abgesicherte – Position nur noch verbessern, nicht verschlechtern.

Aus Gesellschafter-Kreisen kam nun die Frage auf, ob vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung dann nicht auch die Klausel VI (7) der Muster-AGB missbräuchlich bzw. unwirksam sein müsste. Diese Klausel regelt folgendes:

„Ist der Verkäufer aus Gründen, die der Käufer zu vertreten hat, wirksam vom Vertrag zurückgetreten, kann er vom Käufer die Erstattung von 25 % des um den Mehrwertsteueranteil bereinigten Kaufpreises als pauschalierten Schadensersatz verlangen.

Dem Käufer bleibt der Nachweis vorbehalten, dass dem Verkäufer überhaupt kein oder nur ein geringerer Schaden entstanden ist. Die Geltendmachung eines weitergehenden Schadens, für dessen Eintritt der Verkäufer die Darlegungs- und Beweislast trägt, wird durch die Schadenspauschalierung nach Satz 1 nicht ausgeschlossen.“

Nach meiner Auffassung, für die aber selbstverständlich keine Gewähr übernommen wird, ist das nicht der Fall. Ich halte die Klausel für unbedenklich. Sie begründet kein Ungleichgewicht zwischen den Rechten und Pflichten der Parteien zum Nachteil des Verbrauchers. Erstens bleibt dem Verbraucher ausdrücklich der Nachweis vorbehalten, dass dem Unternehmer überhaupt kein bzw. nur ein geringerer Schaden entstanden ist, wenn der Unternehmer den pauschalierten Schadensersatz geltend macht. Genau diese Möglichkeit sah die vom EuGH überprüfte Klausel nicht vor. Zweitens trägt der Unternehmer die volle Darlegungs- und Beweislast, wenn er einen über den pauschalierten Schadensersatz hinausgehenden Schaden geltend macht, und zwar für den gesamten Schaden, also nicht nur für den über die Pauschale hinausgehenden Anteil. Drittens weicht die Regelung nicht von wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelungen ab. Die Klausel ist vollständig an die Vorgaben des § 309 Nr. 5 lit. b) BGB angepasst. Auch § 325 BGB spricht für die Wirksamkeit. Danach wird das Recht, bei einem gegenseitigen Vertrag Schadensersatz zu verlangen, durch den Rücktritt nicht ausgeschlossen. Schließlich wird der Verwender der Klausel im Falle einer gerichtlichen Wirksamkeitskontrolle den Rechtsgedanken des § 340 Abs. 2 BGB anführen können. Danach kann der Gläubiger eine verwirkte Vertragsstrafe als Mindestbetrag des Schadens verlangen, wenn ihm ein Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung zusteht; die Möglichkeit der Geltendmachung eines weitergehenden Schadens schließt das Gesetz ausdrücklich nicht aus.

Das sind die entscheidenden Unterschiede zu der Klausel, mit der sich der EuGH – übrigens nur am Rande – zu befassen hatte. Die eigentliche Vorlagefrage war nämlich eine andere. Diese Frage zielte darauf ab, ob einem Unternehmer, der eine missbräuchliche Schadensersatzklausel gegenüber Verbrauchern verwendet, ein Schadensersatzanspruch, der eigentlich auf diese Klausel gestützt werden könnte, aber wegen der Missbräuchlichkeit nicht auf sie gestützt werden kann, auf der Grundlage dispositiver gesetzlicher Bestimmungen zusteht. Der EuGH verneinte das und beantwortete die Vorlagefrage wie folgt:

Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen sind dahin auszulegen, dass sie, wenn eine Schadenersatzklausel in einem Kaufvertrag für missbräuchlich und folglich nichtig erklärt worden ist, und der Vertrag ohne diese Klausel gleichwohl fortbestehen kann, dem entgegenstehen, dass der gewerbliche Verkäufer, der diese Klausel auferlegt hat, im Rahmen einer Schadenersatzklage, die ausschließlich auf eine dispositive Vorschrift des nationalen Schuldrechts gestützt wird, Schadenersatz – wie er in dieser Vorschrift, die ohne die genannte Klausel anwendbar gewesen wäre, vorgesehen ist – verlangen kann.

Nach dieser EuGH-Rechtsprechung kann sich ein Unternehmer also das, was ihm eine missbräuchliche AGB-Klausel hätte verschaffen können, nicht über die dispositiven gesetzlichen Bestimmungen holen, auch wenn er das ohne die missbräuchliche AGB-Klausel gekonnt hätte. Damit dürfte der durch § 306 Abs. 2 BGB vorgesehene Rückgriff auf das dispositive (Ersatz)-Recht im Falle der Unwirksamkeit einer AGB-Klausel und auf das Instrument der ergänzenden Vertragsauslegung zukünftig unionsrechtlich blockiert sein (Westphalen, NJW 2023, 264, 268).

Abschließend ist zu der Klausel in den Muster-AGB noch anzumerken, dass diese wegen des auf 25 % festgelegten Satzes des pauschalierten Schadensersatzes problematisch werden kann, wenn dieser Prozentsatz nicht der branchenüblichen Gewinnmarge entsprechen sollte. Darauf hatten wir in unseren Empfehlungen zum Umgang mit den Muster-AGB, den besonderen AGB für AGR-Geschäfte und den Widerrufsbelehrungen bereits hingewiesen.

 

Rechtsanwalt Stefan Michel
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